Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil : Zwei Rückblicke auf das Erleben im Primarschulalter
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Kindern, deren Elternteil an einer psychischen Erkrankung leidet, und geht dafür der Forschungsfrage «Wie haben Personen, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufgewachsen sind, ihre Kindheit im Primarschulalter erlebt?» nach. Dabei werden zwei Schwerpunkte gesetzt: Die Untersuchung fokussiert sich einerseits darauf, welche Bewältigungsstrategien die Betroffenen anwendeten. Andererseits beschäftigt sie sich damit, welche Rolle der Schule im Umgang mit der elterlichen Erkrankung beigemessen wird. Zur Beantwortung der Fragestellung wurde ein qualitativer Forschungsansatz verfolgt und methodisch auf narrative Interviews zurückgegriffen. Es wurden zwei erwachsene Personen befragt, die jeweils mit einer psychisch erkrankten Mutter aufwuchsen. Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse diente der Datenauswertung. Dabei wurde mit Kategorien gearbeitet, die zugleich dazu genutzt wurden, die Ergebnisse strukturiert darzustellen. Durch den Vergleich der beiden Fälle konnte auf Parallelen, aber auch Unterschiede im kindlichen Erleben gestoßen werden. Es stellte sich heraus, dass beide Personen die unvorhersehbar wechselnden Verhaltensweisen der Mutter als schwierig erlebten. So war sie für die Kinder zeitweise emotional nicht verfügbar. Abgesehen von diesen akuten Krankheitsphasen hatten aber beide ein liebevolles Verhältnis. Es zeigte sich, dass die Lebenssituation, mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufzuwachsen, von beiden Kindern grundsätzlich als Normalität angesehen wurde. Ausgehend von den Schilderungen zum Erleben konnten unbewusst angewandte Bewältigungsstrategien herausgearbeitet werden: Die Kinder passten sich in diverser Hinsicht unauffällig den Umständen an, um für möglichst wenig weiteren Aufwand zu sorgen. So kümmerten sie sich teilweise auch um die Mutter oder beschäftigten sich oftmals selbst, was auch durch Aktivitäten außerhalb von zu Hause geschehen konnte. Die Schule war jeweils insofern bedeutsam, als sie den Kindern eine Möglichkeit bot, sich von zu Hause zu distanzieren und kompensatorisch fungierte, beispielsweise bezüglich fehlender Strukturen zu Hause. Allerdings wurde auch von unangenehmen Erlebnissen in der Schule erzählt. Es stellte sich heraus, dass eine Identifizierung der betroffenen Kinder durch die Lehrkraft schwierig war und die elterliche Erkrankung in Gesprächen – unter anderem aufgrund des zu geringen Leidensdrucks – nicht angesprochen wurde. Dies war ein wesentlicher Aspekt bei der Ausarbeitung von pädagogischen Konsequenzen. Dennoch ließ sich ableiten, dass betroffene Schüler durch allgemeine Qualitäten einer guten Klassenführung unterstützt werden können. Dabei wurde insbesondere die Bedeutung einer klaren Strukturierung des Schulalltags, eines angenehmen Klassenklimas, von Erfolgserlebnissen und einer vertrauten Beziehung zur Lehrkraft hervorgehoben.