Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) : Lernförderliche Deutschlehrmittel für Kinder mit LRS in der ersten Klasse
Die Lese-Rechtschreib-Schwierigkeit (LRS) ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen in der Volksschule. Gemäss David Gerlach (2019), der eine zugängliche Arbeit zu LRS im Fremdsprachenunterricht verfasst hat, ist durchschnittlich jedes fünfte Kind von LRS betroffen, was zwanzig Prozent aller Schülerinnen und Schüler ausmacht (Gerlach, 2019, S. 12). Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass jede Lehrperson in ihrer beruflichen Laufbahn mehrere Kinder mit dieser Besonderheit in ihrer Klasse haben wird. Auch meine Nichte ist davon betroffen. Bei ihr wurde es leider erst in der vierten Klasse festgestellt. Wenn sie bereits im ersten Zyklus Unterstützung erhalten hätte, wären ihre Leistungen im Lesen und Rechtschreiben heute vermutlich etwas besser und der Leidensdruck wäre geringer gewesen. Diese Vermutung bestätigen Christian Klicpera, Alfred Schabmann, Barbara Gasteiger- Klicpera und Barbara Schmidt (2017) in ihrer Arbeit zu LRS, welche sämtliche Forschungsergebnisse zu diesem Thema zusammenträgt und beschreibt (Klicpera, Schabmann, Gasteiger-Klicpera & Schmidt, 2017, S. 152). Dort verweisen sie darauf, dass bei Kindern, die später LRS entwickeln, bereits nach drei Monaten in den Leseund Schreibkompetenzen ein Leistungsrückstand festzustellen sei. Diese Leistungsrückstände
sollten möglichst früh identifiziert werden, da Studien darauf hinwiesen,
dass eine frühe Förderung – am besten bereits in der ersten Klasse – am wirkungsvollsten sei (Klicpera et al., 2017, S. 152).
Einen grossen Teil dieser Förderung übernimmt üblicherweise der Schulische Heilpädagoge oder die Schulische Heilpädagogin (SHP). Wie kann eine Lehrperson jedoch ergänzend dazu Kinder mit LRS im Regelunterricht unterstützen? Der Schulalltag ist häufig sehr gefüllt mit Inhalten. Es stehen kaum Zeit und Ressourcen für gesonderte Fördermassnahmen und Übungen zur Verfügung. Folglich wäre es sinnvoll das zu nutzen, was schon da ist. Wenn das Deutschlehrmittel in einer Weise für inklusiven Unterricht geeignet wäre, sodass die Lehrperson damit Kinder mit LRS indirekt fördern könnte, würden diese Kinder besser am Unterricht partizipieren können. Ausserdem würde einer Festigung der Schwierigkeiten vorgebeugt werden. Vielleicht wäre es meiner Nichte besser ergangen, wenn die Aufgaben in den Lehrmitteln mehr ihren Bedürfnissen entsprochen hätten. Diese Annahme stützt sich auf Aussagen von Gerlach (2019), sowie einer Dissertation von Joy Sykes (2008) und einer Arbeit von Gerd Schulte-Körne und Katharina Galuschka (2019). Sie sind sich einig, dass die Form und der Inhalt von Aufgabenstellungen in Lehrmitteln Kinder mit LRS beträchtlich unterstützen kann (Gerlach, 2019, S. 75; Sykes, 2008, S. 46; Schulte-Körne & Galuschka, 2019, S. 111). Allerdings gibt es noch keine Untersuchungen dazu, wie unterstützend die neusten Schweizer Deutschlehrmittel der ersten Klasse für solche Kinder sind. Lediglich das Amt für Volksschule (AV) stellt auf Anfrage eine Empfehlung als Entscheidungshilfe für Schulleitungen zur Verfügung, welche die drei neusten Deutschlehrmittel für den ersten Zyklus umfassend analysiert haben: Die Sprachstarken 1 des Klett und Balmer Verlags (seit 2022/23), Sprachwelt 1 des Schulverlags plus (seit 2021/22) und Deutsch Eins (seit 2022/23) des Zürcher Lehrmittelverlags. Diese Analyse basiert auf den sogenannten levanto-Kriterien der Interkantonalen Lehrmittelzentrale (ilz), welche die Lehrmittel auf ihre Entsprechung zum Lehrplan 21 hin untersuchen (ilz, 2022). Die Kompatibilität der Lehrmittel mit den Bedürfnissen von Kindern mit LRS im inklusiven Unterricht wurde jedoch noch nicht untersucht. Das Ziel dieser Untersuchung ist es daher, diese Lücke zu schliessen. Daher wird diese Arbeit versuchen, die folgende
Fragestellung zu beantworten: Welche Lehrmittel und Aufgabenformate sind für Kinder mit LRS in der ersten Klasse im Bereich Lesen und Rechtschreiben lernförderlich?
Um diese Frage beantworten zu können, werden in einem ersten Schritt theoretische Vorüberlegungen getroffen. Dazu werden die Begriffe 'LRS' und 'lernförderliche Lehrmittel' definiert. Es wird besprochen werden, was LRS ist und wie es sich äussert, welche Formen es gibt, welche Ursachen die Literatur vermutet, wie es diagnostiziert wird und welche evidenzbasierten Fördermöglichkeiten es gibt. Die Arbeit wird sich dabei besonders auf die Ausführungen von Gerlach (2019) stützen, da dieser speziell auf den Umgang mit LRS im Unterricht fokussiert. Seine Arbeit bezieht sich zwar auf den Fremdsprachenunterricht und teilweise auf ältere Schülerinnen und Schüler mit
LRS, ist jedoch mehrheitlich übertragbar. Ergänzt werden seine Inhalte im Besonderen mit den Arbeiten von Andreas Mayer (2018), Klicpera et al. (2017) und Schulte-Körne & Galuschka (2019). In einem zweiten Schritt wird die Lehrmittelanalyse durchgeführt. Hier werden auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse geeignete formale und inhaltliche Kriterien entwickelt.
Im Anschluss werden die Lehrmittel und ihre methodisch-didaktische Ausrichtung
vorgestellt und versucht, diese anhand der Kriterien möglichst objektiv formal
und inhaltlich zu analysieren. Dabei werden die Online-Formate jedoch nicht berücksichtigt, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Die Analyse selbst wird mit Hilfe von zwei Tabellen durchgeführt werden, die im Anhang hinterlegt sind. Jedes Lehrmittel wird pro Kriterium auf einer Punkteskala von eins bis fünf bewertet. Diese Bewertung wird mit kurzen Kommentaren und Verweisen begründet werden. Die Analyse wird im Fliesstext vorgestellt und mit einer Evaluation abgeschlossen werden, welche die erreichten Punkte der Beurteilung vergleichen, begründen und die zentralen Erkenntnisse zusammentragen wird.