Soziale Netzwerke und Schlüsselereignisse des Lernens von Lehramtsstudierenden im Praktikum
In der Lehrpersonenbildung gelten Praktika als bedeutsam für die Entwicklung professioneller Kompetenzen (König & Rothland, 2018). Aus soziokonstruktivistischer Perspektive (Resnick et al., 1991) ergeben sich für Lehramtsstudierende vielfältige kooperative Lerngelegenheiten in der gemeinsamen Bearbeitung beruflicher Aufgaben (Arnold, Gröschner & Hascher, 2014). Ihre Kompetenzentwicklung wird beeinflusst von signifikanten Anderen (z. B. Mentor:in), der Relevanz des Kooperationsgegenstandes sowie den verwendeten Instrumenten (z. B. Kompetenzraster) (Engeström, 1999). Solche Lerngelegenheiten werden in Unterrichtsbesprechungen (u. a. Kreis & Staub, 2011) oder in der kooperativen Gestaltung berufspraktischer Lerngelegenheiten zwischen Personen der Hochschule und des Schulfelds (u. a. Beckmann & Ehmke, 2018) untersucht. Diesen Studien ist gemeinsam, dass Forschende die Personen (z. B. Praxislehrpersonen und Studierende) und die Themen (z. B. Unterrichtsbesprechungen zu einem spezifischen Fach) vordefiniert haben. Bisher fehlt ein explorativer Zugang, bei dem Studierende kooperative Lerngelegenheiten – sogenannte Schlüsselereignisse – beschreiben, die sie selbst als bedeutsam für ihre berufspraktische Kompetenzentwicklung einschätzten
Wir untersuchen, welche Personen in welcher Art an Schlüsselereignissen beteiligt waren. Im Rahmen einer Teilstudie des vom Schweizer Nationalfonds geförderten Forschungsprojekts DiaMaNt (Kreis & Brunner, 2022) entwickelten wir ein mixed-methodisches Erhebungsinstrument (Galle et al., 2022). Mittels einer standardisierten PowerPoint-Datei führten die Studierenden ihre erlebten Schlüsselereignisse auf (Teil 1). Sie wählten dann das bedeutsamste Ereignis aus und erstellten für dieses eine Egonetzwerkkarte (Teil 2). In dieser Karte ist die eigene Person (Ego) in der Mitte positioniert und Personen (Alteri), die im bedeutsamen Schlüsselereignisse relevant waren, um das Ego herum (Teil 2.1). Der räumliche Abstand zwischen Ego und Alteri stellt die Bedeutsamkeit der Alteri für die eigene berufspraktische Kompetenzentwicklung dar (Teil 2.2). Zusätzlich beschrieben die Studierenden in Stichworten den Kooperationsinhalt mit dem entsprechendem Alteri (Teil 2.3). Im letzten Schritt (Teil 3) stellten die Studierenden zu zweit ihre Netzwerkkarten vor und nahmen dies mit der in PowerPoint integrierten Aufnahmefunktion auf.
Daten liegen von 141 Studierende der Primarstufe (Rücklauf: 74%; Bachelor; 4. Semester), welche im Frühjahrssemester 2022 ein vierwöchiges Praktikum absolvierten, vor. Ausgewertet werden diese mit einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022; MAXQDA Version 2022.4). Die ersten Auswertungen der Egonetzwerkkarten (Teil 2 & 3) zeigen auf, dass die Studierenden sehr vielfältige Schlüsselereignisse erlebten, von einem weinenden Kind im Unterricht, das getröstet wurde, bis hin zur Frage, wie ein fachlicher Input so gestaltet werden kann, dass die Schüler:innen diesen verstehen. In den 141 Karten wurden insgesamt 376 Alteri aufgeführt (Teil 2.1), pro Netzwerkkarte sind ein bis sechs Alteri beteiligt. 274 dieser Alteri (73%) sind Praxislehrpersonen, Tandempartner:innen oder Schüler:innen, und somit die Personen, welche täglich im Unterricht präsent sind. Weitere Analysen zur Codierung der Schlüsselereignisse (Teil 1), der Bedeutsamkeitseinschätzungen (Teil 2.2), den Unterstützungsleistungen (Teil 2.3) und der Zusammenführung alle Egonetzwerkkarten zu einer Gesamtnetzwerkkarte sind noch in Arbeit und werden am Kongress präsentiert.
Diese Teilstudie gibt einen detaillierten Einblick in soziale Netzwerke von Lehramtsstudierenden während eines Praktikums aus deren eigener Perspektive. Darüber hinaus liefert er neue Ideen für den methodischen Diskurs der Mixed-Methods Social Networks Analysis (Fröhlich, et al., 2020). Insbesondere die Kombination der Netzwerkkarten mit den Audiodateien (Teil 3) stellt eine dichte, die visuellen Daten vertiefende Informationsquelle dar.