Die Wirtschaft der Bildung oder Wer kauft welche digitale (Hoch-)Schulexpertise? : Beitrag zur Ad-Hoc-Gruppe „Vermeintliche Polarisierung der Lehre- theoretische Betrachtungen“
Nicht wenige Zeitdiagnosen sehen in der Digitalisierung der Lehre einen weiteren Schub zur „Ökonomisierung“ von Bildung. Diese Diagnose halte ich für zu ungenau. Ein systemtheoretischer Zugang hätte hier begriffliche Klärungen und präzisere Zuordnungsmöglichkeiten von inter-systemischen Verhältnissen zu bieten. Wirtschaft gilt der Systemtheorie nicht als ein Komplex aus mehr oder weniger „mächtigen“, das heisst zahlungskräftigen Akteuren. Wirtschaft bildet sich entlang einer kommunikativen Codierung von Zahlungen, die anhand von Preisen bestimmt werden und je nach Fall entweder erfolgen (Zahlung) oder, wenn der Preis nicht stimmt, nicht erfolgen (relevante Nichtzahlungen) (Luhmann 1989). Alle Organisationen, so auch jene des Bildungssystems, müssen Zahlungen für ihr Personal und für ihre Infrastrukturen programmieren. Aber nur für Wirtschaftsunternehmen ist der Zahlungscode auch instruktiv zur Bestimmung der eigenen Programme. Denn nur sie reproduzieren ihre Zahlungsfähigkeit selbst. Deshalb können und müssen sie sich selbst unter dem Gesichtspunkt der Investition beobachten (lassen). Alle anderen Organisationen haben es lediglich mit Budgets zu tun. Bildungsorganisationen können ihren „Output“, das heisst ihre Absolvent:innen nicht verkaufen — so wenig wie sie ihr „Material“, die Schul- und Studienanfänger:innen, einkaufen könnten. Investitionsrechnungen ergeben für sie schlicht keinen Sinn; oder allenfalls den höchst beschränkten Sinn im Fall baulicher und technischer Anlagen, deren Investitionswert aber nur relativ zu den Lehr-, Lern- und Prüfungsmöglichkeiten geschätzt werden kann, die man sich von den Bauten und von der Technik verspricht. Einkaufen und verkaufen — das können sich bestenfalls die Anfänger:innen und Absolvent:innen selbst; einkaufen aus den Haushalten heraus, aus denen sie kommen und verkaufen in die Beschäftigungsverhältnisse hinein, die sie anstreben. Bildungsorganisationen ihrerseits können und müssen mit den Finanzmitteln haushalten, die sie von wo auch immer erhalten. Für die Frage, wie solche Mittel in den Wert von Bildungsgängen und Bildungsabschlüssen umgemünzt werden können, braucht es immer einer pädagogisch-didaktischen Expertise, die ihrerseits stets einzurechnen hat, was die „Praxis“ bislang erreicht hat und wo eventuell ungenutzte Potentiale brachliegen. Die Wirtschaft der Bildung ist, was pädagogisch-didaktische Zielorientierungen betrifft, mithin in der Frage zu suchen, wer die einschlägige Expertise mit hinreichenden Erfolgsaussichten zu verkaufen und einzukaufen in der Lage ist. In diesem Punkt scheinen mit der Digitalisierung tatsächlich nachhaltige Verschiebungen einherzugehen. Literatur Luhmann, Niklas (1989): Preise. In ders.: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 13-42.